Xavier Fischer ging dabei von der Feststellung aus, dass die kulturelle Vielfalt, die in der Westschweiz ausgeprägter ist als in der Deutschschweiz, eine Begeisterung für Geschichten fördert – auch bei den lokalen Kunstschaffenden. In seiner Werkauswahl für Häusler Contemporary wird diese Tendenz sichtbar, wobei die aufgegriffenen Narrative ebenso vielfältig sind wie deren formale Ausformulierung.
Einige Kunstschaffende nehmen unsere alltäglichen Gegebenheiten als Ausgangslage: Anne Rochat (*1982) beispielsweise erkundet in ihren Performances den menschlichen Körper und Aspekte von Fremdheit, Archaik und Überraschung, die in ihm stecken. Philémon Otth (*1991) hat in eine minimalistisch anmutende Neonröhre Staub aus dem Galerieraum eingeschlossen und damit ebenso einen ironischen Kommentar auf die Kunst der 60er-Jahre geschaffen wie ein «Relikt», das vom Galeriealltag erzählt. Die Objekte von Alfredo Aceto (*1991) wiederum dekontextualisieren Elemente von vertrauten Gegenständen, lassen sie funktional und doch fremd, fast kreatürlich erscheinen und deuten so eine fantastische Parallelwelt an.
Überhaupt operieren verschiedene Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung mit Dingen und Mischwesen, die anderen Zeiten und Räumen zu entstammen scheinen. Albtraumhafte Szenarien skizziert Claire van Lubeek (*1990), indem sie unter anderem das Auge eines Riesen – so scheint es – im Galerieraum auslegt. Beim Kollektiv Real Madrid sitzen Augen auf gläsernen, geisterhaft anmutenden «Körpern» – Gefässe für die Tränen, die man um der Liebe Willen weint, und in denen das liebende Gegenüber versinken kann, wie Narziss in seinem eigenen Spiegelbild. Die sonderbaren Skulpturen von Denis Savary (*1981) zitieren einen Formenkanon aus Kunstgeschichte, Mythologie und Exotismus und evozieren so den Begriff des «Anderswo». Die Malereien von Flora Mottini (*1985) hingegen scheinen surrealistischen, glatt designten Welten angesiedelt und deuten unbekannte Wesen aus abstraktem Formvokabular an.
Zwischen Realität und Fiktion oszillieren die Werke von Gina Proenza und Maxime Bondu, die sich oft von historischen Tatsachen oder Erzählungen inspirieren lassen. Bondu (*1985) entwirft das Modell eines zentralen Bauwerks aus dem postapokalyptischen Roman «Do Androids Dream of Electric Sheep?» von Philip K. Dick, während Proenza (*1994) sich mit ihrem «Rocher» auf ihre kolumbianischen Wurzeln beruft und auf einen real existierenden, mythisch aufgeladenen Fels in der Wüste von Guajira.
Die Sprache als das eigentliche Medium des Geschichtenerzählens spielt in den Werken von Mohamed Almusibli und bei Gaia Vincensini eine Rolle. Almusiblis (*1990) Gedichte handeln von Jetlag und schlagen den Bogen zum aktuell dringlichen Thema der Migration, während Vincensini (*1992) auf ihren Textilarbeiten mit Poesiezitaten unter anderem das zeitlose Thema der Liebe anspricht. Eine bildstarke Fotografie von Koka Ramishvili (*1956) hingegen zeigt ein verkohltes Buch, was als Verweis auf historisch politische Ereignisse gedeutet werden kann – oder auf die Fragilität jeder Narration.
Unsere Ausstellung lädt somit ein zu einer Reise in die äusserst spannende Kunstszene der Romandie, bei der wir eintauchen in das erzählerische Potential von Objekten, in persönliche oder kollektive Narrationen und Geschichten zwischen Realität und Fiktion.
Deborah Keller